Leseprobe aus:

"Bis ins Land des Vogelschweins. West-Papua: Zeitreise in Eigenregie"

Präsentiert auf der Buchmesse Frankfurt 2015

... Gerade als ich die Flugpiste hinter mir lassen will, gellt mir zum dritten Mal an diesem Tag das forsche "Wohin?" von Nikes Nachbar ins Ohr. "Jalan-jalan saja!" – "Ich gehe nur spazieren!", antworte ich. Und da ich schon einmal bewiesen habe, alleine wieder heil aus dem Wald zurückkommen zu können, wird meine Antwort akzeptiert. Ich darf ohne Begleitschutz passieren.

 

Ich stapfe den (..) Pfad zum Mamberamo hinunter. (...) Mit einem Stock schlage ich im gemächlichen Rhythmus meiner Schritte vor mir auf den Waldboden. So reduziert sich die Begegnungswahrscheinlichkeit mit Schlangen beträchtlich.

 

Ich spaziere über nassglänzende Wurzelgeflechte, wate durch knöcheltiefen Schlamm und balanciere dann wieder über einen umgestürzten, moosbewachsenen Baumstamm. Vogelgezwitscher begleitet mich auf meinem Weg.

 

Wenn Grillen bei uns zirpen, dann zetern sie hier! Ihre Lautstärke ist im Verhältnis zu ihren Körpermaßen nicht überproportional, sondern unfassbar. Minutenlang starre ich eines der gerade einmal daumenlangen Tierchen an. Ich versuche, den Resonanzraum auszumachen, der seinem Flügelscharren diese faszinierend weit schallende, schneidende Dimension verleiht. Ein Geigenspieler wetzt seinen Bogen im Altglascontainer. Wie bitte? Ich fantasiere!

 

Angeblich fiedeln nur die Männchen. Sie wollen Rivalen vertreiben und Weibchen anlocken. Zum Glück ist Emanzipation im Insektenreich kein Thema.

 

Im Rucksack trage ich meine letzte aus der Stadt mitgebrachte Mango. Ich will in meditativer Aussicht und Ruhe meinem aufkeimenden Vitamin-Turkey entgegenwirken. In Kwerba gibt es zwar tropisches Klima, aber deswegen noch lange keine tropischen Früchte. Die Menschen ernähren sich fast ausschließlich von Sago, Kochbananen und eingeflogenem Reis.

 

War es den Missionaren wichtiger, die Menschen hier westlich einzukleiden, als ihnen zu zeigen, wie sie vitaminreiche Kost kultivieren können?

 

In meiner Fantasie wandle ich, vom nussigen Vanille- Käse-Aroma der Durian berauscht, zwischen reifen Mangos und Rambutan durch Pastor Desmonds Früchtegarten.

 

Ich suche mir einen bequemen Stein unweit des Ufers. Nach und nach finde ich meine Zufriedenheit im Anblick des braunen Riesenflusses wieder. Wenn ich nicht von hier wegkomme, dann bleibe ich eben und mache mir hier eine gute Zeit, – denke ich und packe meine Mango aus. Da passiert es wieder! Ich spüre, wie mir das Wasser im Mund tatsächlich zusammenrinnt. Ein Phänomen, dem Ungeduld, ja beinahe Gier innewohnt. Ein Phänomen, das ich seit dieser Reise beim Anblick von reifen Früchten nicht mehr loswerde.

 

Mangos aus West-Papua … das ist tropensonnenreifes, süßweiches Fleisch mit einem ganz zartprickelnden Säurepfiff. Kein "Geschmack: eher stumpf als frisch; (...) auch harzig oder leicht nach Terpentin."* Auch keine Fruchtfleischfasern, die einem noch Stunden später in den Zahnzwischenräumen klemmen.

 

Mein Blick ist in die tanzenden Gischtkräusel versenkt. Das Messer gleitet durch das saftige Fruchtfleisch am Kern entlang nach unten. Da fährt mir wie ein Blitz das Wortpaar ins Gehirn, das in Reiseliteratur und Medien so untrennbar miteinander verbunden ist: Mamberamo – Krokodil …

 

*Barbara Rias-Bucher; Exotische Früchte von A-Z; Wilhelm Heyne Verlag; 1998; S. 129;